So können Sie TPI für sich anwenden – Teil 3.2

von Maud Schlich

Den IST-Zustand feststellen

In Teil 1 ging es um ein paar Grundlagen zum Aufbau des Modells und in Teil 2 um die Definition des Soll-Zustandes. Teil 3.1 stellte die verschiedenen Assessment-Typen und die Auswahl der Assessoren sowie den Ablauf der Assessments vor.

In diesem Artikel geht es um die detaillierte Analyse des IST-Zustandes, also v.a. um die Phase “Performing”. Dies wird am Beispiel eines TPI Light-Assessments  und eines Self-Assessments dargestellt, wie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Maud Schlich IT-PROJECT-SERVICE sie in der Regel durchführen und coachen (siehe Teil 3.1).

Die Durchführung der Stärken-Schwächen-Analyse

Wie in Teil 3.1 schon beschrieben werden in der Durchführungsphase des Assessments häufig vorab Dokumente geprüft, die Aussagen über die Testprozesse liefern. Dazu zählen

  • Prozessbeschreibende Dokumente (Vorgehensmodelle, Verfahrensanweisungen, Arbeitsanweisungen, Richtlinien, Dokumentvorlagen, Anordnungen, …),
  • Arbeitsergebnisse der Prozesse (Testpläne, Testfallspezifikationen, …),
  • Nachweise über Durchführung der Prozesse (Testberichte, Protokolle, …) und
  • Kennzahlen.

Sammeln Sie daher möglichst alles an Dokumenten, die etwas mit dem Testprozess zu tun haben, dazu gehören auch Pläne, Richtlinien, Verfahrensanweisungen, etc. des Projekt- und des Qualitätsmangements, die Aussagen zu den Testabläufen enthalten.

Typischerweise interviewt der Assessor nun mehrere Personen zu den jeweiligen Prozessen. Dabei erfragt er nicht direkt die Kontrollpunkte, sondern lädt die Interviewten ein, von Ihrer Tätigkeit zu erzählen. Die anspruchsvolle Aufgabe des Assessors liegt darin, die einzelnen Informationen den jeweiligen Kernbereichen und Kontrollpunkten zuzuordnen und das Interview so zu steuern, dass die ausgewählten Kernbereichen mit allen Kontrollpunkten der zu assessierenden Stufen vollständig erfragt wurden.

In einem Light Assessment werden öfters auch mehrere Personen gleichzeitig interviewt. Dabei ist es wichtig, dass alle gleichberechtigt sind, also Vorgesetzte nur in Ausnahmefällen zur selben Zeit befragt werden. Solche Ausnahmefälle habe ich z.B. in sehr kleinen Testgruppen gemacht – wenn der Testmanager ein echter “primus interpares” ist, hat seine Anwesenheit wenig Einfluss auf das Gespräch. Allerdings behalte ich mir von Anfang an vor, Vorgesetzte zu bitten, den Raum zu verlassen. Das passiert natürlich sehr dezent in einer kurzen Pause und ist vorab mit den betroffenen Personen abgeklärt.

Bei der IST-Analyse geht es darum, möglichst genau den Stand der Dinge zu erfahren. Dabei gilt der Grundsatz “Two sources of evidence” – also zwei unterschiedliche Quellen zu haben, die eine Aussage belegen. Optimalerweise sind das eine Aussage in einem Interview (besser noch zwei sich nicht widersprechende Aussagen von zwei unterschiedlichen Personen) und ein schriftlicher Beleg in einem Dokument.

In einem Light-Assessment wird dieser Grundsatz nicht rigide eingehalten – es ist das Interesse der Assessierten, dass eine möglichst objektive Stärken-Schwächen-Analyse durchgeführt wird und somit wird den jeweiligen Aussagen geglaubt, falls nicht Widersprüche auftreten.

Falls Sie sich selbst assessieren wollen, ist es schwierig zuzuhören, ohne mehr hinein zu interpretieren als tatsächlich gesagt wurde – dies umso mehr je besser Sie den Testprozess kennen oder zu kennen glauben. Daher hilft es hier sich vorab intensiv mit den Kontrollpunkten auseinanderzusetzen.

Bereiten Sie das Assessment vor, indem Sie sich zu jedem Kernbereich mehrere offene Fragen überlegen, deren Antworten die Kontrollpunkte abdecken. Je offener die Fragen sind, desto mehr Kontrollpunkte werden diese gleichzeitig mit abdecken.

Beispiel: Sie wollen den Kernbereich Engagement der Stakeholder  vorbereiten.

Die Kontrollpunkte für den Reifegrad Kontrolliert ind:

  1. Der hauptsächliche Stakeholder ist definiert (wenn auch nicht unbedingt dokumentiert) und den Testern bekannt.
  2. Das Budget für die Testressourcen ist durch den hauptsächlichen Stakeholder garantiert und kann mit ihm verhandelt werden.
  3. Alle Stakeholder sorgen für die Ressourcen zu denen sie sich committet haben.
  4. Der hauptsächliche Stakeholder ist für die dokumentierte Produktrisikoanalyse verantwortlich (als Eingangsdokument für die Teststrategie).

Offene Fragen beginnen bekanntlich mit einem Fragewort, bzw. W-Wort und ermöglichen eine Vielzahl von Antworten, währen geschlossene Fragen mit Verben beginnen und meist nur Ja oder Nein oder eine Auswahl unter vorgegebenen Alternativen ermöglichen.

Offene Fragen könnten also lauten:

  • Wie heißt der hauptsächliche Stakeholder?
  • Wer weiß davon?
  • Wie ist das Budget definiert worden?
  • Mit wem kann das Budget bei notwendigen Änderungen neu verhandelt werden?
  • usw.

Diese Fragen sind zwar offen, zielen aber dennoch sehr eng auf die Kontrollpunkte ab. Eine bessere Fragestellung lautet:

  • Wer hat alles ein Interesse an den Testergebnissen?
  • Wo wurde das festgelegt?
  • Welche Ressourcen benötigen Sie zum Testen?
  • Woher erhalten Sie diese?
  • Was ist, wenn Sie während des Testens bemerken, dass diese so nicht ausreichend sind?
  • usw.

Diese Fragen sind offener als die ersteren – es gibt mehr mögliche Antworten und die Assessierten werden weniger stark auf die erwünschten Antworten hingeleitet.

Die Alternative, die Kontrollpunkte nur als geschlossene Fragen zu stellen, kann ich in keinem Fall empfehlen. Auch dann, wenn Sie ein Self-Assessment nur mit sich selbst durchführen, werden Ihnen Ihre Antworten auf offene Fragen mehr Nutzen bringen, als nur das Abhaken auf Ja und Nein.

In einem Coaching werden diese Fragen gemeinsam vorbereitet und somit eine optimale Durchführung des Interviews ermöglicht. Alternativ ist auch der Besuch unseres Workshops Assessment-Interviews optimal vorbereiten und durchführen möglich. Hier erfahren Sie viele weitere Tipps zur Vorbereitung und vor allem auch für die einzelnen Interviews, was in ausführlichen Rollenspielen trainiert wird.

Der Assessor notiert nun alles, was er hört und liest, soweit möglich schon vorsortiert zu den jeweiligen Kernbereichen und Kontrollpunkten. Damit kann er dann später seine Bewertungen begründen und nötigenfalls bei Lücken noch einmal nachfragen.

In einem TPI NEXT Assessment werden die Antworten direkt oder im Nachgang in die Entwicklungsmatrix eingetragen und anschließend die Auswertungsmöglichkeiten genutzt. Die Entwicklungsmatrix zeigt dabei sehr schön an, wo das definierte Ziel (nicht) erreicht wurde.

Ausblick

Der letzte Teil 4 beschäftigt sich mit der Interpretation der Ergebnisse und der Initiierung von Verbesserungsmaßnahmen und schließt damit diese Reihe von Artikeln.


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